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Simone Thoma ✝

sie wuchs in Laufenburg/Baden auf und war Regisseurin und Schauspielerin.

Viele Welten im Gepäck

Ohne sie wird das Theater an der Ruhr ein anderes sein: zum Tod von Simone Thoma (23.05.23)
Ein Beitrag von Dorothea Marcus, in Theater heute

Als machtlose Seherin, eine dunkle Mischung aus Melania Trump, Kassandra und Elfriede Jelinek, schritt sie 2017 barfuß und in wehenden Gewändern durch dekadente goldene Fransen in Philipp Preuss’ Inszenierung von „König Ubu/Am Königsweg“. Ungehört fabulierend, mal fast unscheinbar durchsichtig, mal wütend bellend, mal tänzerisch-ätherisch.

Als zerzauste Clownin Chou-Chou, eine versponnene und puppenhafte Greisin, bewegte sie sich würdevoll durch Roberto Ciullis Clowns-Arbeiten, jene jahrzehntelange, rätselhafte, meist stumme Theaterreise über das Lachen und die Vergänglichkeit.

Filigran, zart und krass war sie als blonde, überschminkte Mary Tyrone 2015 in Ciullis Inszenierung von Tennessee Williams „Eines langen Tages Reise in die Nacht“, die sie ganz und gar nicht hysterisch, sondern empathisch spielte – eine, der das Leben eben mitgespielt hat. Oft war sie eine jugendliche Liebhaberin, deren Schönheit irgendwo ein wenig entgleist war. Mit Manierismen spielte sie, immer etwas anders als die anderen war sie. Woher kam nur diese rätselhafte Welt-Erschöpfung und jungenhafte Leichtigkeit zugleich?

Nicht vergessen kann ich auch ihre Doppelfigur im „King Lear“, 2006: Als verstoßene Tochter Cordelia war sie eine Untote, von Beginn an vom Vater verstoßen – die als Narr ihre Opferrolle zugleich ironisch kommentierte. Oder ihre kalte, harte Großmutter in „Immer noch Sturm“ von Peter Handke: ein koboldhafter Geist, der hysterisches Gelächter wie einen Schutzschild vor die Trauer setzte. Ob man es damals schon ahnte, dass sie so eine spezielle Schauspielerin werden würde, als sie nach dem Abitur die private Schauspielschule von Andrea Moll in Freiburg im Breisgau besuchte? Von 1988 bis 1992 studierte sie dann an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg. Gastengagements in Aachen und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg folgten, seit 1993 war sie Ensemblemitglied am Theater an der Ruhr

Extrem präsent und elfengleich entrückt

Auf zarte Weise extrem präsent und elfengleich entrückt, jung und alt zugleich war Simone Thoma auf der Bühne; kein Wunder, dass einem für sie oft Begriffe aus der Märchenwelt einfallen. Ihre Kunst war, den Figuren Transzendenz zu geben, jemand zu sein, die die Grenzen der Welt überschreitet, um dann mit einem Kichern zurückzukommen. Woher kam das Jenseitige, das sie umgab? Vielleicht, weil das Sterben in ihrer Kunst stets eine Rolle spielte. Sie selbst hat die „tausend Tode der Schauspielerin“ in manchem Text beschrieben. Über ihre Rolle als Ophelia etwa, mit der sie 1995 in Moskau gastierte: „Auch sie ist eine, die das Sterben lernt, indem sie dem, Tod ins Auge blickt, um im entscheidenden Moment auf ihre ausweglose Situation mit einem Spiel zu antworten. Den letzten Akt ihres Lebens spielt sie. Indem sie das Sterben lernt, wird sie zur Schauspielerin.“
Oder ihre Antigone auf Gastspiel in Teheran, beim Fadjr-Festival 2000 – festgehalten sind ihre Texte über das Schauspielern im Buch über Roberto Ciulli „Der fremde Blick“: „In der Begegnung mit Antigone wird mir deutlich, dass ein wesentlicher Punkt in der Entwicklung einer Person darin besteht, das Leben und auch das Sterben als Kunst zu begreifen, die es zu erlernen gilt. Man muss das Sterben „können“. Den eigenen Beweggrund, den Riss in sich suchen wollte sie, die „schmerzende wunde Stelle, die jeden Stillstand wieder in Bewegung bringt.“

Machte das ihre poetische Kraft aus: dass sie das Sterben lernen wollte, um eine Figur freizusetzen, die damit zur Handelnden ihrer Geschichte wird? Vielleicht konnte sie es dann, als sie es Ende Mai 2023, im Alter von nur 56 Jahren, viel zu früh musste. Der Gedanke ist tröstlich.

Simone Thoma war mehr als eine Schauspielerin, sie war eine große Künstlerin. In Roberto Ciullis grandioser Empathie-Übung „Boat Memory“ von 2019 schrieb sie, zusammen mit Kollegin Maria Neumann, einige der Texte: „Es gibt die, die in Rettungswesten ertrinken, und die, die im Reichtum ertrinken. Uns erfasst alle das gleiche Schicksal: Wir ertrinken. Ihr werdet mich finden.“ Und sie inszenierte seit einigen Jahren auch selbst: 2017 etwa eine atmosphärisch ungemein dichte „Glasmenagerie“ von Tennessee Williams, in der sie die Familie Wingfield in einen kalten Wartesaal mit Bauzäunen versetzte, an dem die nicht genommenen Lebenszüge vorbeirasen. Simone Thoma selbst spielte die verlorene Diva Amanda, unbeirrt weiter Telefonmarketing betreibend, verzweifelt am Selbstbetrug bastelnd. Oder 2019 ihre Inszenierung der „Antigone“. Ein Requiem“ von Thomas Köck als zynische Trash-Show über „Späterdenbewohner“, die nur noch aus ihren Zimmern auf die Welt schauen und vom generellen Zuviel in Handlungsstarre und ablenkende Betriebsamkeit versinken, Vielleicht etwas zu hermeneutisch geriet ihre letzte Arbeit „Anatomie eines Wortes / Der Ritt über den Bodensee“ (Anza Pamber / Peter Handke).

Irgendwie überrascht es nicht, dass sie keine Trauerfeier wollte für sich. Keine offizielle Form kollektiver Trauer für sie, keine falschen Rituale für eine, die dem Theater gehörte, das alle Rituale in sich aufgenommen hat. Ich erinnere mich noch an sie, ein banales, lustiges Bild, wir waren im Hotel Al-Rasheed in Bagdad 2001, sie hatte eine Flasche Olivenöl dabei, um sich das arabische Essen zu italienisieren, mit Ciulli im Doppelpack und dennoch eine ganz eigene Erscheinung, vorsichtig, sensibel, achtsam. Viele Welten im Gepäck.

Wie Schnee im Frühling stürzte die Nachricht von ihrem Tod auf mich ein, die das Theater an der Ruhr seit Jahrzehnten journalistisch und immer wieder auch auf Reisen begleitet hat. Mir bedeutet dieses Theater viel, und ich kann kaum ermessen, was das für ein Schlag ist für ein Haus, das ohne sie nicht das wäre, was es heute ist. Ganz zu schweigen davon, was ihr Tod für seinen Gründer Roberto Ciulli, bedeuten mag, der seine Frau an den Krebs verloren hat. Und was ihr Tod für die vielen wichtigen Inszenierungen bedeutet; in nahezu allen war sie präsent. Eine Welt stürzt ein, niemals wird das Theater an der Ruhr so sein wie bisher. Und doch wird es weiterleben: Bis wenige Tage vor ihrem Tod hat Simone Thoma am Projekt „Ich Antonin Artaud – Le Mômo“ mitgearbeitet. Sie wird darin vorkommen. Und doch. Was für ein Verlust.

Ruhrpreis
Laudatio für Simone Thoma
Theater an der Ruhr • Reden

Gehalten von Jörg Schlüter anläßlich der posthumen Verleihung des Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft an Simone Thoma am 3.12.2023 im Marmorsaal der Stadthalle Mülheim.

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