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Roberto Ciulli

Roberto Ciulli (* 1. April 1934 in Mailand) ist ein Theaterregisseur und Schauspieler, er ist Gründer des Theater an der Ruhr.

Roberto Ciulli schloss sein Studium der Philosophie an den Universitäten von Mailand und Pavia mit einer Promotion über Hegel ab. Mit 26 Jahren gründete er in einem Mailänder Randbezirk das Zelttheater Il Globo. Dessen Repertoire reichte in alle Sparten von den Klassikern über die Avantgarde. Unter anderem inszenierte er dort die italienische Erstaufführung von Sławomir Mrożeks „Auf hoher See“.
Im Jahr 1965 ging er nach Deutschland, wo er zunächst als Fabrikarbeiter und Fernfahrer arbeitete. Seine Theaterarbeit in Deutschland begann er am Deutschen Theater in Göttingen, wo er von 1965 bis 1972 zunächst als Regieassistent, dann als Regisseur unter der Intendanz von Heinz Hilpert und Günther Fleckenstein arbeitete. Roberto Ciulli wechselte im Jahr 1972 zum Schauspiel Köln, um dort ein von den Ideen der 68er-Bewegung inspiriertes Mitbestimmungstheater zu verwirklichen. Gemeinsam mit Hansgünther Heyme war er dort Schauspieldirektor. Hier machte er sich mit Interpretationen von Goldoni, der Entdeckung Eduardo de Filippos für das deutschsprachige Theater und einem Sternheim-Zyklus einen Namen. Es folgten Gastinszenierungen an der Freien Volksbühne und am Schiller-Theater in Berlin. 1979-1981 war er Regisseur am Schauspielhaus Düsseldorf, wo er unter anderem „Alkestis“ nach Euripides, „Das Dekameron“ nach Boccaccio und die Uraufführung von Heinar Kipphardts „März. Ein Künstlerleben“ inszenierte.

1980 gründete er zusammen mit dem Dramaturgen Helmut Schäfer und dem Bühnenbildner Gralf-Edzard Habben das Mülheimer Theater an der Ruhr. Schon bei seiner Gründung verpflichtete sich das Theater an der Ruhr der internationalen Kulturarbeit. Es suchte und förderte die multikulturelle (internationale, kosmopolitische, weltgewandte, weltoffene) Begegnung, gastierte regelmäßig im Ausland und holte ausländische Theaterensembles nach Mülheim an der Ruhr.

Schon früher wurden Ciullis Inszenierungen ins Ausland eingeladen. Die Vorstellungen „Der Zyklop“ und „Alkestis“, wurden 1979 und 1980 beim Internationalen Bitef-Festival in Belgrad präsentiert. Im Jahr 1980 inszenierte Ciulli im Teatr Atelje 212 in Belgrad „Das Dekameron“ mit der Schauspielerin Gordana Kosanovic. Die jugoslawische Schauspielerin wurde ab 1981 Ensemblemitglied in Mülheim und prägte die Arbeit des Theater an der Ruhr bis zu ihrem frühen Tod 1986. Seit 1987 wird in ihrem Namen im Zwei-Jahres-Rhythmus ein Preis an Schauspieler verliehen, bisher unter anderem an Ulrich Wildgruber, Kirsten Dene und Miki Manojlivoc.

1983 erhielt das Theater an der Ruhr die erste Einladung ins Ausland auf das Theaterfestival in Parma (Italien) mit der Inszenierung des Sommernachtstraums von William Shakespeare. Ebenfalls 1983 fuhr das Theater mit den Inszenierungen „Der Sommernachtstraum“ und „Gross und Klein“ von Botho Strauss zum Bitef-Festival nach Belgrad, wo das Theater an der Ruhr für die beste künstlerische Gesamtleistung ausgezeichnet wurde. Gemeinsam mit jugoslawischen Kulturverantwortlichen verwirklichte Roberto Ciulli die Idee, fremdsprachige Theaterproduktionen auch außerhalb der internationalen Festivals in die Spielpläne der Theater aufzunehmen. So war das Theater an der Ruhr 1985 das erste bundesdeutsche Theater, das in Jugoslawien auf Tournee ging.

Das Theater an der Ruhr war 1987 auch das erste deutsche Theater, das in der Türkei gastierte. Im Rahmen dieser Theaterreise wurden Inszenierungen in Istanbul, Ankara und Izmir gezeigt. In Folge entstand die erste Koproduktion zwischen dem Türkischen Staatstheater mit einem deutschen Theater. Die Inszenierung von Federico Garcia Lorcas „Bernarda Albas Haus“ mit acht türkischen Schauspielern wurde im Jahr 1993 zur Aufführung gebracht. 1995 inszenierte Ciulli eine zweisprachige Aufführung von Brechts „Im Dickicht der Städte“, an der türkische und deutsche Schauspieler beteiligt waren. Der Austausch mit türkischen Theatern wird bis heute fortgesetzt: Seit 2012 wird in der Reihe „Szene Istanbul“ jeweils eine türkische Produktion im Theater an der Ruhr gezeigt.

Im Jahr 1998 begann Roberto Ciullis Suche nach Partnern im iranischen Kultursektor. Im selben Jahr unterzeichnete er eine Absichtserklärung über einen Theateraustausch auf Basis eines Kulturabkommens zwischen dem Kultusministerium Iran und dem Theater an der Ruhr. Im Januar 1999 wurde das Theater an der Ruhr als erstes europäisches Ensemble seit der Islamischen Revolution zum Internationalen Fadjr-Festival nach Teheran eingeladen und gastierte dort regelmäßig. Eine Inszenierung von „Bernarda Albas Haus“ wurde 2002 zum Höhepunkt des Kulturaustausches mit Iran. Mit acht iranischen Schauspielerinnen erarbeitete Ciulli Lorcas Theaterstück in persischer Sprache, das nach der Premiere in Teheran nach Stockholm, Berlin und Malmö eingeladen wurde.

Roberto Ciulli lud auch iranische Theaterensembles ein, in Mülheim zu gastieren und bei den „Internationalen Theaterlandschaften“ ihre Inszenierungen zu zeigen. Diese Gastspiel-Reihe wurde 1986 ins Leben gerufen und präsentierte Ensembles aus Jugoslawien, Polen und, erstmals ab 1993, auch aus Russland. 1998 und 1999 fand die „Theaterlandschaft Seidenstrasse“ mit Gruppen aus dem Iran, Syrien und Usbekistan, China und der Türkei statt. In all diesen Ländern hatte das Theater an der Ruhr zuvor auch Inszenierungen aus seinem Repertoire gezeigt. Da die historische Seidenstraße durch den Irak führte, gastierte Ciullis Theater 2002 auch in Bagdad, wo „Antigone“, „Kaspar“, „Der kleine Prinz“ und „Dreigroschenoper“ gezeigt wurden. In insgesamt 38 Länder fuhr das Ensemble des Theater an der Ruhr auf Gastspiele, darunter auch Kolumbien, Mexiko, Ecuador und Chile sowie Kasachstan und Kirgistan.

Zum arabischen Raum hat das Theater an der Ruhr seit vielen Jahren Verbindungen. Im November 2009 führte das Ensemble eine Gastspielreise zum internationalen Festival von Tunis. Im Oktober 2013 wurde das Theater an der Ruhr nach Algerien eingeladen. Die Reihe Theaterlandschaft "Neues Arabien“ und "Mittelmeer" widmete sich über mehrere Spielzeiten, unter anderem Inszenierungen aus dem arabischsprachigen Raum.

1991 wurde das Roma Theater Pralipe, das im vom Bürgerkrieg zerstörten Jugoslawien nicht mehr arbeiten konnte, dem Theater angegliedert (bis 2001).

Im Jahr 2003 erarbeitet Roberto Ciulli mit Patienten der Forensischen Psychiatrie in Langenfeld das Theaterprojekt „Wie hast Du geschlafen?“.

Für sein politisches und interkulturelles Engagement wurde Ciulli mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Polnischen Kulturorden (1990), dem Bundesverdienstkreuz (1996), dem Sonderpreis für Theaterkunst und herausragende kulturelle Verständigung in Teheran (1999), dem Preis der Hiroshima-Foundation Stockholm (2002), dem Preis des ITI-Zentrums zum Welttheatertag (2004), dem Preis des Kulturrats NRW (2006), dem Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen (2013) und dem Faust-Theaterpreis (2019). 2020 erschien seine zweibändige Monographie "Der fremde Blick".